Von Minden nach Polen

Mein Friedensdienst mit ASF im Jüdischen Zentrum in Oświęcim/Auschwitz

Hallo liebe Freunde, Förderer und Interessierte,

ab dem 03. September 2012 werde ich einen Friedensdienst mit ASF im jüdischen Zentrum Oswiecim/Auschwitz machen.

Auf diesen Seiten möchte ich euch das ganze Jahr über meine Arbeit, Erlebnisse und Erfahrungen informieren.

Auch gibt es mir und euch die Möglichkeit Gedanken zu bestimmten Themen zu äußern und über Nachrichten im Kontakt zu bleiben, hierzu sind natürlich alle herzlich eingeladen!

Viel Spaß mit meinem Blog

Johannes

Gentleness, sobriety are rare in this society - At night a candles brighter than the sun

Sting auf dem Life Festival Oswiecim
Sting auf dem Life Festival Oswiecim

Tausende von Menschen sind gekommen, um ihn zu hören. Ganz Oswiecim scheint auf den Beinen zu sein. Die vorangegangenen Auftritte haben alle Festivalbesucher in Stimmung gebracht. Unter großem Applaus betritt Sting mit seiner Band die Bühne – angekündigt als der Höhepunkt des diesjährigen Life Festivals Oswiecim.

Kaum eine Viertelstunde Fußweg entfernt liegt Auschwitz, das deutsche Vernichtungslager der NS – Diktatur. So nah beieinander liegen Tod und Leben, Grauen und Begeisterung. Ist dies an diesem Ort möglich? Wie lässt es sich an diesem Ort, der „allezeit ein Aufschrei der Verzweiflung und Mahnung an die Menschheit“ sein soll, heute leben?

Vom 26. Juli bis zum 30. Juli 2013 war ich genau an diesem Ort, um Johannes Fendel zu besuchen.

Oswiecim
Oswiecim

Von Berlin fuhr ich mit dem Bus nach Krakau. Vor dem Fenster flogen dunkle Tannenwälder, riesige Grasflächen und kleine Dörfer vorbei. Rund um Kattowitz beobachtete man Kohlezüge wie früher im Ruhrgebiet und Schornsteine, die den Rauch der schweren Industrie ausatmeten. Die Häuser, die man aus dem Bus sah, waren schwarz. Umso freundlicher wirkte Krakau. Als ich in Oswiecim am späten Abend endlich ankam, ratterte ein Kohlezug am Bahnhof vorbei. Dennoch - Oswiecim ist kein zweites Kattowitz. Von der kleinen Stadt bekam ich den Eindruck einer sehr lebendigen und jungen Stadt.

Chevra Lomdei Mishnayot Synagoge
Chevra Lomdei Mishnayot Synagoge

Der Stadtplatz wurde gerade renoviert. So mancher Wohnblock wartet noch auf eine solche. Als Stadt an der Sola ist sie eine grüne Stadt. Das jüdische Zentrum liegt sehr zentral. Die Aufarbeitung des jüdischen Lebens wird – wie ich finde – sehr anschaulich gezeigt und durch viele Dokumente belegt. Der Höhepunkt des Museums ist die Synagoge, in der der Besucher über die wichtigsten Riten und Gegenstände einer Synagoge direkt an Ort und Stelle aufgeklärt werden kann. Man bekommt somit an einem Ort Einblicke in das jüdische Leben, wo sich noch heute jüdische Menschen, die das Zentrum besuchen, treffen und beten. Wenn man sich dies bewusst macht, gekoppelt mit dem Wissen, dass – wie es das jüdische Museum zeigt – jüdische Menschen und Menschen anderer Glaubensrichtungen hier in Oswiecim vor dem Holocaust jahrelang friedlich, ja sogar in Freundschaft, zusammengelebt haben, ist Auschwitz noch schwerer zu begreifen.

jüdischer Friedhof in Oswiecim
jüdischer Friedhof in Oswiecim

Das Museum zeigt mit der Sonderausstellung „New Life Exhibit“ über das Leben von jüdischen Einwohnerinnen und Einwohnern, die den Holocaust überlebt haben, wie schwer es war und ist, wieder zu einem Zusammenleben zurückzufinden, wie es in Oswiecim vor dem Holocaust möglich war. Die Ausstellung legt unter anderem ein Augenmerk auf die Pogrome, die kurz nach dem Holocaust in Polen und in Russland stattfanden. Die Leidensgeschichte der jüdischen Menschen endete oftmals nicht einmal mit der Befreiung aus den Konzentrationslagern, sondern ging oftmals mit der Suche nach Heimat weiter.

Gedenken an die Opfer
Gedenken an die Opfer

Die Besichtigung von Auschwitz hat etwas Unwirkliches. Vor dem Eingang stehen unzählige Besucher. Während sich viele vor dem Schild „Arbeit macht frei“ photographieren lassen, als sei es „Neu Schwanstein“, hört dieses Verhalten schlagartig beim Entlangschreiten an den Säcken voller Haare, den Unmengen von Schuhen, Zahnbürsten und Prothesen auf. Den Einzelnen unter dieser Menge von Opfern kann der Betrachter kaum erfassen. Zwar versucht das Museum durch Galerien von Menschen und die Darstellung von einzelnen Schicksalen den Einzelnen hervorzuheben, gerade die Berge von Haaren lassen aber deutlich werden, wie herabwürdigend und unmenschlich das NS - Regime in Auschwitz gewütet hat und wie entwürdigend sie ihre Opfer behandelten. Der einzelne Mensch wurde nicht mehr als ein solcher wahrgenommen. Von dem Stammlager fuhr ein Bus die Besucher nach Birkenau. Wer seine Augen über das Gelände streifen lässt, sieht den Maschendrahtzaun, der die Blöcke umschließt. Kein Baum steht auf dem Gelände und es wird spürbar, wie kalt der Winter sein muss, wenn der Wind ungeschützt um die Baracken zischt. Der Gedanke, selbst in den Baracken mit anderen eingepfercht zu sein, schockt. An den Schienen entlang führt uns unser „Guide“ zur Rampe. Gemeinsam gehn wir den Todesweg zur Gaskammer. Hinter den zerstörten Kammern ist ein kleiner Waldstreifen. Auf der anderen Seite stehen Wohnhäuser: Häuser des Lebens neben dem Denkmal der Unmenschlichkeit und des Todes.

Ortswechsel zur Stadt an der Weichsel: Krakau ist kaum an einem Tag zu erfassen. Die vielen Türme von Kirchen und Synagogen zeigen, welches kulturelle Angebot Krakau zu bieten hat. Sehr zu empfehlen ist ein Führung durch das jüdische Krakau. Wie im jüdischen Museum Oswiecim erfährt man, wie gut die jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner in Krakau integriert waren. In Krakau sieht man dies an den Häusern, den Straßennamen und den vielen Synagogen, die als Munitionslagerstätten die NS – Diktatur überlebten. Laut Führung existiert auch heute noch eine lebendige jüdische Gemeinde in Krakau – anders als in Oswiecim. Gerade in Kazimierz sieht man die jüdische Kultur an vielen Straßenecken. Ebenfalls zeugen die Schilder an den vielen Kneipen davon, dass es in Krakau ein aktives Nachtleben gibt - mit schönem Jazz. Der Eindruck einer sehr lebendigen Stadt bleibt in Erinnerung.

Auf dem Rückweg nach Oswiecim durfte ich die polnische Gastfreundschaft kennen lernen. Mit einigen anderen wartete ich auf den Bus, als plötzlich eine Durchsage ertönte und sich die Gruppe auflöste. Was war los? Freundlicherweise erklärte mir eine polnische Frau die Sachlage (Busausfall) und nahm mich per Zug mit nach Oswiecim. Wie diese Frau haben sich mir gegenüber viele Menschen sehr hilfsbereit gezeigt. Das Zugfahren ist auf der Strecke zwischen Krakau und Oswiecim noch sehr langsam. Für die 60 Kilometer braucht man zwei Stunden.

Über Johannes lernte ich neben den vielen anderen Freiwilligen auch polnische Jugendliche in Oswiecim kennen. Wir trafen uns abends, um das Festival vorzubereiten. Im Kulturpalast duften wir Eintrittsbändchen zusammenstecken, bis wir dann zum Bankett der Eröffnungsveranstaltung gerufen wurden. Irgendwann waren alle Bändchen geknüpft. In dem schwarzen Nachthimmel über Oswiecim singt Sting:

„Gentleness, sobriety are rare in this society
At night a candles brighter than the sun“ („Englishman in New York“).

 

20. Juli 2013, Ruben

 

 

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