Von Minden nach Polen

Mein Friedensdienst mit ASF im Jüdischen Zentrum in Oświęcim/Auschwitz

Hallo liebe Freunde, Förderer und Interessierte,

ab dem 03. September 2012 werde ich einen Friedensdienst mit ASF im jüdischen Zentrum Oswiecim/Auschwitz machen.

Auf diesen Seiten möchte ich euch das ganze Jahr über meine Arbeit, Erlebnisse und Erfahrungen informieren.

Auch gibt es mir und euch die Möglichkeit Gedanken zu bestimmten Themen zu äußern und über Nachrichten im Kontakt zu bleiben, hierzu sind natürlich alle herzlich eingeladen!

Viel Spaß mit meinem Blog

Johannes

Piękno i nostalgia listopada

Allerheiligen in Oświęcim
Allerheiligen in Oświęcim

Jetzt ist der November schon wieder um. Vor kurzem sagte jemand, dass der November einer der schlimmsten Monate im Osten sein kann. Die Depression des vergangenen Sommers, die eintretene Kälte, das schlechte Wetter und die Schönheit der Adventszeit und des Weihnachtsfestes ist noch einen Monat hin.
Irgendwas muss ich falsch gemacht haben:

Schon der Anfang dieses Monats hatte eine ganz besondere Atmosphäre: Allerheiligen!

Das Fest zum Gedenken aller Heiligen ist hier in Polen etwas sehr besonderes und ich habe selten etwas so schönes gesehen.

Am Abend von Allerheiligen gehen alle Polen auf den Friedhof um der Verstorbenen zu gedenken.
Auch ich habe mich zusammen mit Gleb auf den Weg zum katholischen Friedhof in Oświęcim gemacht um uns die Feierlichkeiten anzusehen.

Schon der Weg dorthin ist etwas besonderes. Ich habe mich ein bisschen wie auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt, oder zur Mindener Messe gefühlt: Alles ist voll mit Leuten, die in die gleiche Richtung strömen und sogar die Straße vor dem Friedhof (eine der Hauptstraßen von Oświęcim) war teilweise gesperrt.

Am Friedhof angekommen findet man Stände, die jegliche Sorten und Größen von Grablichtern verkaufen. Außerdem gab es Essen und einen Stand mit ganz viel Blink-Zeug für die Kinder. Wenn man sich an den Ständen vorbei bewegt hat, kommt man zum Eingang des Friedhofs und mich hat es fast umgehauen!

In Polen ist es Brauch, dass man Kerzen kauft und auf die Gräber derer stellt, an die man besonders denkt (meistens Familienangehörige).

So kamen wir also auf den Friedhof und es war ein einziges Lichtermeer!!! Einfach unglaublich und atemberaubend schön!!!

Ich weiß nicht, ob es möglich ist, diese Schönheit auf einem Foto festzuhalten, aber ich habe es für euch mal versucht. Wenn ihr aber wirklich diese besinnliche und erfürchtige Atmosphäre erleben wollt, müsst ihr selbst an Allerheiligen auf einen polnischen Friedhof gehen. Es lohnt sich!!!

Vielleicht aber erst nochmal zurück zum Ende des Vormonats.

Nach dem Seminar zu "Multiplikatoren von Gedensktättenfahrten" bin ich mit Pia noch für zwei Tage nach Wrocław gefahren um unsere liebe Freundin Anna zu besuchen. Es war schön die beiden mal wieder zu treffen und wir hatten zwei sehr, sehr schöne Tage dort. Auch wenn Anna arbeiten musste, haben Pia und ich uns eben zu zweit die Stadt angeschaut. Und sehr viele unglaublich interessante Sachen gefunden. Anna kam dann immer nach.

An meinem freien Samstag (03.11.) habe ich mich zusammen mit Sasha, Kuba, Laura und Francois auf den Weg in die Berge gemacht um diesen schönen Tag bei einer Wanderung zu genießen.

Wir sind mit dem Bus nach Bielsko-Biała gefahren und von dort mit einer Seilbahn hoch auf den Berg. Irgendwie hat sich das angefühlt, wie beim Skifahren.

Bielsko-Biała
Bielsko-Biała

Während der Fahrt hatten wir eine unglaubliche Sicht auf den Ort und die Ebene dahinter.

Oben angekommen haben wir uns also auf den Weg gemacht und sind einfach drauflos gelaufen, bis wir zu einer schönen Stelle im Wald kamen, wo wir ein kleines Picknick zu uns genommen haben und dann mussten wir schon zurück, weil es anfing dunkel zu werden und wir den Weg runter zufuß machen wollten. Als wir unten ankamen war es schon stockduster.Schon ein bisschen gruselig, wenn man im Dunkeln durch den Wald läuft, aber auch total schön.

Die Wanderung war super und es hat gut getan mal wieder ein bisschen rauszukommen und zu wandern und irgendwie war ich an dem Tag einfach nur glücklich! :)

Kreuzweg in Birkenau
Kreuzweg in Birkenau

Laura hatte mich auf der Wanderung gefragt, ob ich Lust habe mit auf einen Kreuzweg nach Birkenau zukommen.

Also sind wir am darauffolgenden Tag, den 04.11.2012 zusammen nach Auschwitz II Birkenau gefahren. Dies war mein erster Besuch dort und ich fand es schön (und finde es heute noch), dass mein erster Besuch in einem solchen Rahmen stattfinden sollte und nicht mit einer Gruppe bei einer ganz normalen Führung.

Eingangsportal in Birkenau
Eingangsportal in Birkenau

Nachdem wir durch das (wohl allen bekannte) Eingangsportal gegangen sind stießen wir auch schon auf die Gruppe. Es waren hunderte Menschen (ich würde auf ca. 500 tippen), die gemeinsam einen Kreuzweg durch das ehemalige Vernichtungslager der Nazis machen wollten. Irgendwie hat es gut getan zu sehen, wie viele Menschen auf diese Art gemeinsam ihre Gedanken an die Verstorbenen richten.
Der Kreuzweg ging wie folgt:
An allen wichtigen Stellen (Kinderbaracke, alle Krematorien, "Sauna", Massengräber, Zigeunerlager und Kommandantur) wurde angehalten und es wurde erst die Geschichte dieses Ortes erzählt und dann eine Verbindung zu Jesu Leidensweg gezogen. Dann wurde noch ein Text von einem ehemaligen Inhaftierten (Edith Stein, Maximilian Kolbe,...) gelesen, welcher die verschiedenen Wege des Glaubens im KZ darstellte (sowohl das Hinfinden zu Gott - das Letzte, was man meistens aus den Gaskammern hörte waren wohl Gebete zu Gott - , als auch das Zweifeln an Gott - wie kann Gott etwas so grausames zulassen?)

Der Weg eines Zuges zur Judenrampe
Der Weg eines Zuges zur Judenrampe

Irgendwie war es komsich an den Orten zu stehen, worüber so viel gelernt und gelesen hatte und welche man auf so vielen Fotos gesehen hat. Auch war es komisch auf den Schienen zu stehen, von denen man weiß, dass über die selben Schienen die Transporte mit den Juden gefahren sind.

Besonders bewegend war für mich ein Teich mitten auf dem Gelände. Es wurde erzählt, dass es immernoch Leute gibt, die sich daran erinnern, wie sie dort geangelt haben; jetzt ist es ein Aschesee auf dem Gelände des wohl größten Vernichtungslagers aller Zeiten.

Oder ein Zitat von einem ehemaligen Häftling: "In Birkenau gab es kein Leben"; ich habe versucht in die Stille zu hören und tatsächlich hört man keine natürlichen Geräusche an diesem Ort (keine Vögel oder andere Tiere).

Total erschrocken hat mich aber, dass Birkenau so offen zu allen Seiten war. Es ist nur durch einen Starkstromzaun von der Außenwelt getrennt und es gibt nur sehr vereinzelte Wachtürme. Ganz anders, als zum Beispiel im Stammlager oder in Oranienburg, wo es eine richtig abgesperrte Zone gab, die man nicht betreten durfte. Es sieht gar nicht so furchtbar und furchterregend aus, wie uns die Geschichte leider gelehrt. Außerdem ist das Gelände von außen sehr gut einzusehen und es waren auch damals schon Häuser in unmittelbarer Nähe. Wieso hat also keiner mitbekommen, was dort los ist?!

Am Dienstag, den 06.11.2012 war ich mit Dominik in einer Schule in Chrzanów eingeladen, wo wir etwas über das deutsche Schulssystem erzählen sollten und den Schülern die Möglichkeit gegeben haben, dass sie das im Deutschunterricht Gelernte auch mal anwenden konnten. Nach diesem Gespräch haben wir noch eine offizielle Deutschstunde mitgemacht. Sehr lustig: Wie komme ich zum Marktplatz? Wann und wo treffen wir uns? ...

Allerdings muss ich sagen, dass ich den Deutschunterricht an polnischen Schulen nicht sonderlich produktiv finde. Mich wundert es nicht, dass die nach zehn Jahren Unterricht manchmal noch nicht richtig Deutsch sprechen (sorry an alle polnischen LehrerInnen).

Auf einer meiner Führungen habe ich drei sehr nette jungen Männer kennengelernt, mit denen ich mich sehr lange unterhalten habe und einer davon hat mich für Mittwoch, den 07.11.2012 ins MDSM eingeladen, da er dort mit einem Pfarrer aus Oświęcim verabredet war.

Also bin ich am Mittwoch hingegangen und wir saßen mit einigen Leuten in einem Raum und haben uns in sehr gemütlicher Atmosphäre mit Krzystof (wie sich herrausstellte der Pfarrer der Pfingstgemeinde in Oświęcim) unterhalten und über Gott diskutiert.

Auch wenn ich in vielen Punkten nicht mit seiner Sicht übereinstimmen konnte, hat mich seine Art und sein Auftreten sehr beeindruckt.
Danach saß ich noch mit einigen aus der Gruppe zusammen im MDSM und wir haben uns sehr nett unterhalten, bis ich plötzlich feststellen musste, dass es schon 04:00 Uhr ist und ich am nächsten Morgen arbeiten musste.

Hiernach folgte meine Konferenz in Raasepori und das Wochenende darauf war ich bei Clara in Budweis, aber zu beidem wird es in kürze (gibt es schon) einen eigenen Artikel geben.

Pünktlich am Abend des 1. Advent sind die Temperaturen hier übrigens in den Minusbereich gerutscht und es hat angefangen zu schneien. Jetzt haben wir eine schöne weiße Winterlandschaft! Nächste Woche sollen es sogar bis zu -12°C werden. Willkommen im polnischen Winter!

 

Das war also die "Piękno i nostalgia listopada". Jetzt ist der Dezember angebrochen und es dauert nicht mehr lange, bis ich nach Hause fahre und dort mit meiner Familie Weihnachten feier. Darauf freue ich mich schon sehr. :)

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