Von Minden nach Polen

Mein Friedensdienst mit ASF im Jüdischen Zentrum in Oświęcim/Auschwitz

Hallo liebe Freunde, Förderer und Interessierte,

ab dem 03. September 2012 werde ich einen Friedensdienst mit ASF im jüdischen Zentrum Oswiecim/Auschwitz machen.

Auf diesen Seiten möchte ich euch das ganze Jahr über meine Arbeit, Erlebnisse und Erfahrungen informieren.

Auch gibt es mir und euch die Möglichkeit Gedanken zu bestimmten Themen zu äußern und über Nachrichten im Kontakt zu bleiben, hierzu sind natürlich alle herzlich eingeladen!

Viel Spaß mit meinem Blog

Johannes

Oktober in Oświęcim

Herbst in unserem Garten
Herbst in unserem Garten

Hallo ihr Lieben,

jetzt ist es schon wieder eine Ewigkeit her, dass ich mich das letzte Mal bei euch gemeldet habe. Einerseits kann ich mein Leben hier mittlerweile Alltag nennen und es gibt nicht so viel zu erzählen, als dass ich immer einen eigenen Artikel dazu machen möchte; außerdem war die letzte Zeit sehr stressig. Aber jetzt habe ich mich entschloßen euch, bevor ich morgen nach Berlin fahre (aber dazu später mehr), auf den neusten Stand zu bringen!

Der letzte Eintrag endete ja mit meinem neuen Chor und einer sehr schönen Fahrradtour. Was ist danach so passiert?

Ich versuche es jetzt einfach mal chronologisch auf die Reihe zu bekommen:

Einen Tag nach meinem letzten Eintrag hatte ich meinen ersten Polnischunterricht. Meine Lehrerin heißt Ewelina und sie ist Guide in "Auschwitz Muzeum" und gibt dort englische Führungen. Ich habe Einzelunterricht und es ist wirklich super. Sie ist sehr nett und ich lerne sehr viel! Normalerweise spreche ich Englisch mit ihr, aber manchmal wirft sie auch einzelne deutsche Wörter ein. Zum Beispiel meinte sie, dass sie einfach nicht verstehen kann, warum es DAS Mädchen ist, wobei ein Mädchen doch immer feminin ist?! Ich muss sagen, dass das eine sehr gute Frage ist, die ich einfach nicht beantworten kann. Es zeigt mir aber mal wieder, wie schwer es für Ausländer sein muss unsere Sprache zu lernen!

Seit dieser ersten Stunde habe ich mittlerweile drei Stunden gehabt und ich merke von Stunde zu Stunde, wie ich ganz langsam hinter die Geheimnisse der polnischen Sprache komme und bin nicht mehr ganz so hoffnungslos. Vielleicht klappt es ja doch irgendwann mit dem Polnischen. Wir werden es sehen. Aber dafür muss ich sicherlich viel tun und das fordert Ewelina auch.

 

Am gleichen Tag hatten wir eine sehr interessante Gruppe, von der ich kurz berichten möchte:

Immer wieder haben wir eine Gruppe Namens "Holocaust Education Trust" (HET). Das Programm könnt ihr euch ja selbst mal durchlesen.

Dies ist immer eine Gruppe von ca. 200 Studenten aus England, die morgens nach Kraków fliegen, den Tag über hier in Oświęcim sind (erst beschäftigen sie sich bei uns mit der jüdischen Geschichte vor dem Holocaust und dann besichtigen sie noch die beiden Lager) und Abends wieder zurückfliegen.

Die jüdische Geschichte dieses Ortes vor dem Holocaust behandeln sie auf zweierleiweise: Die eine Hälfte der Gruppe geht auf den jüdischen Friedhof, wo ihre Kleingruppenleiter mit ihnen etwas über das Leben hier machen. Die andere Hälfte ist hier in der Synagoge und ein Rabbi aus England erklärt ihnen sowohl die Synagoge, als auch das ehemalige jüdische Leben hier im Ort.

Besonders der Vortrag des Rabbis ist unglaublich interessant, weil er logischer Weise sehr viel weiß und man sich danach immer sehr nett mit ihm unterhalten kann und Sachen erfragen kann. Außerdem meinte er, dass wir, wenn wir in London sind auf jeden Fall ihn und seine Synagoge besuchen sollen (was vorherige Freiwillige wohl schon sehr oft wahrgenommen haben). Bei einem dieser Treffen habe ich auch das erste Mal eine unserer Thorarollen in ihrer Gesamtheit gesehen

Meinen freien Samstag habe ich dann genutzt um mit Kuba (Freiwilliger vom MDSM) nach Bielsko-Biała zu fahren. Das ist ein Ort, der ca. 40 km südlich von Oświęcim liegt und es ist der erste Ort in den Beskiden. Ein eigentlich wirklich schöner Ort, schon allein deswegen, weil er kaum zerstört wurde.

Doch eine Sache war sehr verwunderlich: Es war Samstagmittag und auf dem Rynek  war kaum ein Mensch. Allgemein wirkte der Ort wie ausgestorben, dabei leben dort doch 180.000 Einwohner?!
Als wir weiter gegangen sind haben wir dann den Grund gefunden, warum die Altstadt so leer ist: Die Sfera Shopping Mall. Ein riesiges Einkaufszentrum! Wir sind nur durchgelaufen und der halbe Tag war um!

Nachdem wir also die Sfera Galerie und die Stadt angeschaut haben, sind wir mit dem Bus zurück gefahren. Beim nächsten mal muss ich aber dringend in die Berge, wenn ich schon da bin, aber leider hatte die Seilbahn schon geschlossen.

Die beiden jüdischen Feiertage "Shmini Atzeret & Simchat Torah" (8 + 9.10) waren für mich dann auch wieder quasi frei; am Montag hatte ich allerdings eine Gruppe, so dass ich nicht groß was unternehmen konnte, aber am Dienstag hatten Dominik und ich beide frei und sind in einen kleinen Ort in der Nähe gefahren. Babice lässt sich allerdings wahrscheinlich besser als Hauptstraße beschreiben, weil der Ort eigentlich nur aus einer sehr stark befahrene Straße besteht. Aber Babice hat eine auch zwei sehr spannende Sachen zu bieten. Unter anderem steht auf einem kleinen Berg hinter dem Ort eine Burgruine. Dominik und ich sind also durch ein Wäldchen zu der Burg gelaufen und haben uns diese angeschaut, was wirklich lohnenswert war. Besonders der Blick vom Turm in die Umgebung ist gigantisch!!!

Nachdem wir wieder vom Turm runtergeklettert waren, haben wir uns noch ein Museum angeschaut, wo alte Holzhäuser (aus der Nähe von Kraków) ausgestellt sind und in ihnen ist das frühere Leben dargestellt. Nach der Besichtigung haben wir dort in einem kleinen, sehr gemütlichen Restaurant zu Abend gegessen und sind dann mit Bus nach Hause.

Am Wochenende (vom 11.10 - 14.10) war dann die Hochzeit meiner lieben Schwester Antonia und ihrem jetzigen Ehemann Matthias. Aber das war ein Ereignis, was einen eigenen Artikel verdient hat! Dieser wird in Kürze folgen.

Einen Tag nachdem ich wieder in Polen gelandet war, hatte ich dann meinen ersten Auftritt mit meinem Chor in der Universität von Oświęcim. Es war die Eröffnung des neuen Unijahres; eine sehr spannende Veranstaltung, weil es so was in der Art in Deutschland nicht gibt, aber seht selbst:

Der 16.10 ist ein schönes Beispiel dafür, was ich in meinem zweiten Satz mit "stressig" meinte. Wir hatten an einem Tag 8 deutsche Gruppen, 4 polnische und noch eine Israelische mit über 100 Leuten. Ich habe selten einen so vollen Tag gehabt und war ziemlich bedient am Abend! Aber irgendwie war es auch ein schönes Gefühl im Bett zu liegen und zu wissen, dass man richtig viel geschafft hat!
Ansonsten habe ich mir gerade eine Stadtführung durch Oświęcim erarbeitet und eine Führung über den jüdischen Friedhof. Die brauchen wir zwar nicht oft, aber das ein ums andere mal halt doch. Das ganze hat schon wieder über ne Woche Zeit eingenommen.

Letztes Wochenende hatten wir dann Besuch von Anna und Olga (Freiwillige in Wrocław - Breslau). Sie sind Samstagmittag gekommen und Gleb hat Olga eine kurze Führung durch das Zentrum gegeben, während Anna und ich durch die Stadt gelaufen sind, beim MDSM vorbei und dann zum Zentrum, wo ich eine Führung für eine Gruppe geben musste. Diese konnte Anna natürlich mitmachen und dadurch auch das Zentrum kennenlernen.

Nach der Führung musste ich dann direkt los, da wir mit unserem Chor bei einem Chorwettbewerb mitgemacht haben. Das war sehr spaßig, auch wenn ich schon die Proben nicht für ausreichend hielt. So kam es dann auch, dass wir leider nur Dritte geworden sind, womit keiner Zufrieden war, weil mein Chor diesen Wettbewerb letztes Jahr gewonnen hatte. Naja aber eigentlich ist 3. von 6 doch gar nicht so schlecht?! Jedenfalls konnte ich, während wir auf das Ergebnis warteten, einige Chormitglieder nochmal näher kennen lernen.

Unsere Chorleiterin hat mich dann nach Hause gebracht (bzw. hat mich zu sich nach Hause gebracht, wo dann ihr Mann das Auto übernommen hat, weil sie quasi kein Englisch spricht, er aber Deutsch). Ich habe dann Anna abgeholt und wir sind zusammen mit Dominik, Kuba, Francois, Ola und Kinga ins Bazyl (eine Kneipe) gegangen, wo an diesem Tag getanzt werden konnte. Das war richtig gut und wir haben schön gefeiert und getanzt.

Am nächsten Tag sind Olga und Gleb in die Lager gefahren und Anna und ich haben uns einen ruhigen Vormittag (mit viel Lesen) gemacht, weil sie die Lager schonmal gesehen hat und nicht unbedingt nochmal hin wollte. Am Nachmittag ist Anna dann zurück gefahren und Olga ist am Montag morgen gefahren, weil sie direkt nach Warschau auf ein Seminar musste.

Der Chorwettbewerb "Psalite Deo 2012"
Der Chorwettbewerb "Psalite Deo 2012"

Gestern kam dann wohl das absolute Highlight! Nach der Arbeit habe ich mich in einen Bus gesetzt und bin nach Kraków gefahren um mir in der "Filharmonia im. Karola Szymanowskiego w Krakowie" den abslouten Meister der Trompete anzuhören! Eigentlich ist es Tradition von meinem Trompeterkumpanen Dennis und mir, dass wir immer in der Weihnachtszeit zu einem Konzert von Gábor Boldoczki fahren, aber das wird dieses Jahr wohl eher knapp. Als ich aber gesehen habe, dass er in Kraków spielt, habe ich mir sofort gesagt, dass ich da hin muss. Und da war ich also. Allerdings war das alles so ne Sache: Der Bus den ich nehmen wollte ist nicht gekommen, also musste ich einen später nehmen, war dadurch aber erst um 19:10 Uhr da; um 19:30 begann das Konzert und ich musste noch Tickets für den Zug nach Berlin am ICC Schalter kaufen. Letzten Endes kam ich 7 min. zu spät an der Philharmonie an und die Kasse war schon geschlossen. Doch die, die die Tickets kontrolliert haben, haben scheinbar gesehen, dass ich SEHR geknickt war und so durfte ich KOSTENLOS doch rein und konnte mir das Konzert anschauen! Und es war einfach gigantisch! Gábor ist einfach ein Gott auf der Trompete!!!!

Allerdings muss ich sagen, dass ich glaube ich noch nie ein Instrument erlebt habe, was eine Trompete zur Verzweiflung bringen kann. Die Orgel in der Philharmonie konnte es allerdings, so einen mächtigen und lauten Sound hatte die. Da musste Gábor teilweise ganz schön gasgeben, damit er nicht unterging!

Danach bin ich mit Marie (Freiwillige in Kraków) und ihrem ukrainischen Tandem noch ein Bier trinken gegangen und habe dann bei denen geschlafen, weil mein Chef meinte, dass ich besser nicht einen Zug nachts nehmen sollte, weil die nicht so sicher sind! Also bin ich heute morgen zurück gefahren und direkt zur Arbeit. Und hier bin ich jetzt also!

Eine Anekdote vielleicht noch am Ende, die ich am Montag erlebt habe:

Wir hatten mal wieder eine jüdische Gruppe aus Israel hier, die beten wollten. Aber bevor die Jugendlichen in die Synagoge durften, sind erst zwei Securitymänner mit Taschenlampen rein und haben hinter jedes Buch, unter die Tische, hinter Vorhänge geguckt um zu kontrollieren, dass auch ja kein Bombe dort ist. Erst als sie über Funk durchgegeben haben, dass alles gut ist, durfte die Gruppe kommen.

Das hat mich schon ein bisschen geschockt und ich weiß auch nicht so richtig, was ich davon halten soll...

 

Das AJC im Herbst
Das AJC im Herbst

Naja, ihr seht, dass mein Leben hier weiterhin sehr spannend und eregnissreich ist, auch wenn sich der Alltag eingeschlichen hat. Mir geht es echt super und ich bin total froh, dass ich hier bin!

Tut mir leid, wenn dieser Artikel mehr eine Beschreibung ist und recht wenig Gefühle oder eigene Kommentare drin sind. Ich hoffe er gefällt euch trotzdem und ihr könnt dadurch ein bisschen an meinem Leben hier teilhaben!

 

Ich freue mich übrigens immer total, wenn ich mit euch skypen oder schreiben kann, oder wenn ich Mails oder Briefe bekomme! Danke an euch alle!

 

Nach 4 1/2 Stunden Arbeit soll es das jetzt mal mit diesem Artikel gewesen sein, der Artikel über die Hochzeit folgt in Balde!

Liebe Grüße aus dem mittlerweile sehr herbstlichen Oświęcim (die Bäume sind schon sehr bunt und die Blätter fallen).

Euer

Johannes

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